"ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE"

PER SOPRANO + FLAUTO in Do / Sol (transp.. notiert) + PICCOLO
Zu neun Gedichten von Evi Kliemand
Zurigo / Intragna 1984
Durata ca. 16'
Text: Evi Kliemand

Zur Werkgeschichte

Uraufgeführt wurde die Komposition 'Zwischen Himmel und Erde' am 10. Mai 1985 in der Helferei Grossmünster, Zürich. Die Interpreten waren Jeannette Fischer, Sopran, und Werner Zumsteg, Flöte.
Eine zweite Uraufführung für Liechtenstein erfolgte in einem Konzert mit denselben Interpreten am 9. Nov. 1985 in der Staatlichen Kunstsammlung, dies im Rahmen der grossen Ferdinand Nigg-Ausstellung. Das Konzert von 1985 in Vaduz wurde auf Kassette aufgenommen. Die neun Gedichte begleiteten in einem bibliophilen Heft das Programm. Als Verfasserin der ersten Ferdinand Nigg-Monographie hatte Evi Kliemand auch den Bildwerken dieses wichtigen Künstlers im Aufbruch zur Moderne einige Gedichte gewidmet, dazu zählen die Gedichte IV und V dieses von Ermano Maggini vertonten Zyklus. Auch die weiteren Gedichte lagen 1987 gedruckt vor: Evi Kliemand. Die Einfaltslieder. Verlag Innerschweizer Lyriktexte. Zwei der vertonten Gedichte 'Als ob die Nacht mich / leise in sich spräche…' und 'Komm ich weiss ein Gesicht…' waren schon 1980 in ihrem Gedichtband 'Grund genug' in der Reihe SPEKTRUM/5 Zürich veröffentlicht und im Theater an der Winkelwiese vom Herausgeber Felix Rellstab vorgestellt worden. Zu jenem Anlass wurden Ermano Magginis 'Tre Canti Sacri' für Violoncello erstmals als Dreier-Zyklus aufgeführt. Der bekannte Musikwissenschafter und Dirigent Kurt Pahlen richtete 1981 einen Brief an Ermano Maggini mit diesem Wortlaut:
'Verehrter Maestro, Ich habe Ihnen sehr von Herzen zu danken: für das wertvolle Lyrikbuch der Evi Kliemand, für die lieben Grüsse, - vor allem aber immer wieder für Ihren 'Canto V' für Flöte und Ihr Schaffen im allgemeinen, das ich zu dem wahrhaft Wertvollen in unserer Zeit zähle. Es kennnen gelernt zu haben und damit in Kontakt mit Ihnen gekommen zu sein, gehört für mich zu den schönen Augenblicken des Jahres 1981 und damit meines Lebens. …'

Postum konnte das Vokalwerk 'ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE' in Zusammenarbeit mit dem Radio Studio Lugano Rete 2 auf CD eingespielt werden, dies mit denselben Interpreten, die noch zu Lebzeiten des Komponisten an dessen Seite standen. (1995 Edition Jecklin JS 311-2 Szene Schweiz). Im begleitenden Text zur CD heisst es: 'Die Uraufführung erfolgte innerhalb eines Konzertes mit Werken von Mahler und Schoeck, am 10. Mai 1985 in der Helferei-Grossmünster, Zürich, mit den Interpreten dieser Aufnahme: Werner Zumsteg und Jeannette Fischer. Das Grenzgängerische der Einzelstimme - wie sie durchaus schon in den frühen Flötenwerken anklingt, wird hier ganz ausgeschöpft, fast ausgeglüht. Die Flöte wird zusammen mit der menschlichen Stimme noch ausschliesslicher zur Verkörperung von Atem.' (ek1995)

Es ist eigen mit diesem Werk, durchblättert man die Werklisten, gehört es zu jenen Kompositionen, die am auffallendsten von mehreren Interpreten auch noch postum zur Aufführung gebracht wurden. Entsprechend vielfältig die Pressebelege. Schon zur Uraufführung in der Helferei berichtet die NZZ vom 14. Mai 1985 dieses:
'Kostproben jüngerer Musiker
rur Jüngere Zürcher Musiker haben am 10. Mai in der Helferei Grossmünster ein abwechslungsreiches Programm zur Diskussion gestellt. Jeannette Fischer, Sopran, bewies in Liedern von Mahler, Othmar Schoeck und in einer Uraufführung ihr gediegenes vokales Können: eine sicher sitzende Stimme, eine hübsch timbrierte Mittellage, eine gepflegte Diktion und eine musikalische-formale Gestaltung, die die gegenwärtigen Möglichkeiten der Stimme klug berücksichtigt. (…) Der Flötist Werner Zumsteg bewährte sich in Olivier Messiaens 'Le merle noir' und noch packender in Frank Martins gediegener und etwas langatmiger 'Ballade' durch gestalterische Brillanz und überlegene Spieltechnik Als Uraufführung erklang der Liederzyklus 'Zwischen Himmel und Erde' des in Zürich ansässigen Tessiners Ermano Maggini. Die neun bilderreichen und stark formal gearbeiteten Gedichte von Evi Kliemand werden in eine gepflegte, etwas gleichförmig wirkende Zweistimmigkeit von Sopranstimme und Flötenklang umgesetzt. Langsame und sehr langsame Tempi herrschen vor, und etwas farbliche Abwechslung kommt durch die Verwendung verschiedener Flötentypen zustande. Der Musiker schöpft hier einen Atmosphärebereich voll aus, der ihm liegt – und den Interpreten auch. Der Flötist fügte sich geschmeidig zum instrumentalen Kontrapunkt, ähnlich wie er an diesem Abend bereits Magginis 'Canto V per flauto in Do e Sol' stark melodiös geboten hatte. Der Zuspruch im Freundes- und Kollegenkreis war herzlich.'


Mit der Einspielung auf CD 1995 (Interpreten: Jeannette Fischer und Werner Zumsteg) konnten postum auch alle Werke für Flöte solo aufgefangen werden, in Ergänzung mit weiteren Werken, u.a. dem Trio für Violine, Gitarre und Kontrabass. Und ebenfalls dank des Engagements der Fondazione Ermano Maggini und weiterer Interpretenkreise wurde im Jahr 2000 'Zwischen Himmel und Erde' gleich mehrfach aufgegriffen: am 22. Mai 2000 in Liechtenstein in der Evangelischen Kirche in Vaduz, und am 15. Mai desselben Jahres in der Pfarrkirche Eschen; Interpreten: Hieronymus Schädler, Flöte, und Cornelia Rheinberger, Sopran. Diese brachten das Vokalwerk zwei Jahre später nochmals zur Aufführung, dies anlässlich der postumen Uraufführung von Canto XIX für Orgel, geschrieben 1988; (s. auch Werkausgaben Verlag Müller & Schade, Bern).

Doch schon davor, und zwar am 23. Juli 2000, fand in der Chiesa Parrocchiale San Gottardo von Intragna ein denkwürdiges Konzert in Memoria des Komponisten statt, ausschliesslich dem Sohn des Dorfes gewidmet, unter dem Patronat von Ticino Musica und deren Leiter Janos Meszaros; ein 'concerto dedicato esclusivamente al compositore Ermano Maggini (1931-1991)'.

Das hier im Zentrum stehende Werk 'Zwischen Himmel und Erde' wurde von Barbara Meszaros, soprano und Massimo Zicari, flauto, hervorragend vorgetragen (vgl. CD Life-Mitschnitt von Ticino Musica). L'ensemble del Ticino Musica e i giovani delle masterclasses brachten zudem folgende Werke auf hohem Niveau zur Aufführung: Hiob für Bläserquintett, Canto XIV und Canto XXI für Streichquartett; Torso I für zwei Celli und Meditazione su una tomba, die Komposition für die sechs Glocken des Campanile; auch dieses Werk kam hoch über den Dächern von Intragna zum Klingen.
Der Textbeitrag zur Konzertvorschau spricht für sich:
'Ermano Maggini nacque ad Intragna (Ticino) il 30 agosto 1931 e morì il 19 dicembre 1991 nel suo paese d'origine. Ebbe le prime impressioni musicali presso il Collegio Papio di Ascona. Visse quindi per quarant' anni a Zurigo, dove studiò all'Accademia di musica e lavorò come pedagogista musicale presso diversi istituti. Membro fondatore della Scuola di chitarra di Zurigo. Dedicò tutto il suo tempo libero alla composizione. Non appena gli era possibile si ritirava ad Intragna per lavorare attorno alla sua musica, componendo negli ultimi vent'anni di vita 56 opere, di cui una è rimasta incompiuta. Poco prima della sua morte aveva creato la Fondazione Ermano Maggini Intragna che oggi è responsabile dell'amministrazione del patrimonio musicale.'

'Zwischen Himmel und Erde' für Sopran und Flöte, (nach Gedichten von Evi Kliemand) Zürich/Intragna1984 - Barbara Meszaros, Sopran, und Massimo Zicari, Flöte: 'Ermano Maggini hat mehrere Gedichtzyklen vertont, so auch frühe Gedichte von Evi Kliemand. Er suchte darin die Expression, die er als 'generoso', 'fuori del tempo', als 'mistico' bezeichnete, er sah den Menschen stehen zwischen den sich öffnenden, sich transzendierenden Räumen und der gebundenen menschlichen Existenz, ähnlich seinen Magnificat und Stabat Mater, ein Marianisches, was die Komposition 'Zwischen Himmel und Erde' für Sopran und Flöte zum mystischen und zugleich poetischen Grenzgesang werden lässt –' (vgl. dazu Einspielung CD Jecklin 1994).

Intragna liegt auf einem Felssporn zwischen den zwei Bergflüssen Isorno und Melezza – von daher Inter-amnes. Hier unterhielt auch die Lyrikerin seit 1973 ihr Atelier, und im dritten Gedicht ahnt man etwas von der Magie der Landschaft: '…da ruhen / die geschiedenen Ströme / über inwärtigem Feuer / über inwärtigem Sinn/ komm / ich weiss den Menschen/ zwischen Himmel / und Erde/ in Felsen gegraben / komm / ich weiss sein Gesicht.'

ek 2018

Text zur Werkgeschichte und Redaktion:
Evi Kliemand (2018/2019)
Fondazione Ermano Maggini Intragna

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Neun Gedichte von Evi Kliemand

I

Als ob die Nacht mich
leise in sich spräche
still im Gehorsam
länden im Sand
erschöpfte Meere
ein Fisch
ein Stern
ein Zweig

II

Johanna
Im Wärmezirkel stehn
Zukunft von Gesichtern lesen
die Vorfeuer brennen schon lang
Johanna
die Leiter hat grüne Stellen
der Rüstpfahl trägt
durch all diese Flammen
schmilzt der Schnee einen Nimbus

zwischen den Zähnen den Zweig
scheut dich das Feuer
Passionsspiel Johanna
der kalte Kreisrand
mit sieben Gewehren erst
tötet
die Stimmen
zur schwarzen Lichtwurz
vertieft
das Brandmal
wo Frühling bald anbricht
die Erde Johanna

III

komm
ich weiss ein
Gesicht

wenn du keines
in es zu blicken
mehr findest

da ruhen
die geschiedenen Ströme
mit inwärtigem Feuer
über inwärtigem Sinn

komm
ich weiss
den Menschen

zwischen Himmel
und Erde
in Felsen
gegraben
komm
ich weiss sein Gesicht

IV

Greift ein Engel
immer wieder
in den Abgrund
greift ein Flügel
immer wieder
aus der Kreuzverstrebung
eine Hand
immer wieder
durch den Raum
immer wieder
hin zum Feuer
und fällt
ein stilles Zeichen
zur Erde
um immer wieder
von dir von mir
zurückgeholt zu sein

V

Marienlied
so wie du daliegst / kann ein Wind dich töten / ein Wort
so wie du daliegst / zerbricht dich der Lärm
so wie du daliegst / wirst du geschlachtet
nackt wie der jüngste Tag/ so wie du daliegst
braucht dich die Hoffnung
so wie du daliegst

VI

er sagte verzeih denn
sie wissen nicht
was sie tun
er sagte verzeih ihnen denn
sie erkennen nicht
er sagte
wie könnten sie wissen
was sie tun
da sie nicht lieben
verzeih ihnen

VII

Bilder aus der Apokalypse
Als ob ein Jubel in die weissen Leiber steige,
als ob ein Tanz den Leibern Stufen böte,
um dort ins grüne jüngste Feld des Himmels einzuschwingen,
und Weiss und Weiss und Weiss sind
in jenem Licht des Lammes Schattenstelle.

VIII

wenn die Tische Altäre
die Altäre Himmel
die Himmel Gebete werden
ist manches schon gut

IX

Gib mir die Hand
wir reihen das Wort aneinander
es tanzt komm
es tanzt uns voran
es tanzt uns hell den Schritt
durch die Zeiten
gib mir die Hand

(siehe auch Innerschweizer Lyriktexte
Evi.Kliemand Die Einfaltslieder 1987)
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