ABENDLIED AN DIE NATUR - für Chor

Text: Gottfried Keller
Lavadina/Zürich 1989
Dauer ca. 4'30''

Zur Werkgeschichte

Siebzehn Auftragswerke werden von der Stadt für dieses Gottfried-Keller- Jubiläumsjahr vergeben. Im Rahmen einer Veranstaltung zu Ehren Gottfried Kellers am 30. Juni 1990 wurde u. a. ein Platzkonzert auf dem Marktplatz Oerlikon sowie im Albisgütli einberaumt. Kernstück für den Chor der Kantonsschule Wiedikon Zürich unter der Leitung von Stephan Meier war die Uraufführung des von Ermano Maggini nach einem Text von Gottfried Keller komponierten Liedes: 'Abendlied an die Natur'. Auch zur Synode in Horgen wurde das Werk uraufgeführt.
'So (…) lockerte das von Berichten, Ehrungen und Referaten geprägte Programm mit musikalischen Beiträgen von Ermano Maggini, Hans Lavater und Othmar Schoeck auf. Magginis Vertonung des Gottfried-Keller-Gedichts erklang als Uraufführung. Es wurde im Rahmen der Juni-Festwochen der Stadt Zürich in Auftrag gegeben.' Und im weiteren zu lesen im Jahresbericht der Kantonsschule, an der Maggini unterrichtete: 'Der Chor der Kanti Wiedikon beteiligte sich – als einziger Schulchor von dreizehn teilnehmenden Chören – auch mit diesem Werk an den Junifestwochen ….'
Am Sängerfest im Schützenhaus Albisgüetli vom 30. 6. 1990 traten folgende Chöre auf: ars cantata, Jürgen Kantorei, Canta Musica und Kantonsschule Wiedikon. Und die Konzertprogramme besagen: zum Platzkonzert der Aussenquartiere fand sich um 15 Uhr der Chor der KSW auf dem Marktplatz Oerlikon und um 16. 30 zum Innenstadt Platzkonzert in der Bärengasse (Brücke Schanzengraben).
Auch die NZZ berichtete am 2. Juli 1990 darüber s. Werkgeschichte hierzu on line in diesem Verlag. Einige Wochen später, am 31. August 1990, beging der Schülerchor, nach dem alljährlichen Geistlichen Konzert vom Frühjahr, auch die alljährlich im Sommer stattfindende Serenade, ein Konzert unter der Leitung von Marlis Moser und Stephan Meier.
Es ist gar nicht so leicht, bei so viel Aufführungen den Überblick zu wahren. Es wird dem Gottfried Keller (Gott hab ihn selig) in den Ohren geläutet haben in seiner Amtstube. Ermano Maggini konnte ja von seiner Wohnung aus sozusagen aufs Rathaus blicken.
Ermano Magginis Vertonung des Gedichts von Gottfried Keller für Chor von 1989 wurde für die Juni-Festwochen der Stadt Zürich in Auftrag gegeben, in der Partitur vermerkt sind als Entstehungsorte Lavadina/Zurigo. Um dem Lärm von nahgelegenen Bauarbeiten in seinem Refugium in Intragna zu umgehen, hatte er es vorgezogen, sich im alten Atelierhaus der Lavadina am Triesenberg hoch überm Rheintal für seine Schaffenszeit während der Schulferien zurückzuziehen. Dies galt auch für 1990, und lässt sich den Partituren entnehmen.
Wir lasen uns damals durch die Keller'schen Gedichte, und seine Wahl fiel ziemlich rasch auf dieses 'Abendlied an die Natur'. Die Vertrautheit mit Gottfried Keller hatte er früh schon über seinen literarisch versierten Schriftstellerfreund Hans Schumacher gewonnen, dessen bestbekannter 'Gang durch den Grünen Heinrich' gehörte zu seinen wertgeschätzten Büchern. Und in einem der letzten Kapitel schreibt Schumacher: „Der Wunsch, 'gar nicht mehr da zu sein', verstärkt sich noch, als Heinrich eines Tages auf einem Amtsgang in die Gegend seiner Jugendzeit gerät.(…) 'Schwärme wild gewordener Bienen brausten auf der Blumenwildnis umher' …Der erwähnte Amtsgang führte den Grünen Heinrich in ein Tälchen, wo die Erinnerungen wieder … zurückgehen (…) 'da ich das Verlangen spürte, noch einen Gang in Einsamkeit zu machen. So gelangte ich in ein enges abgeschiedenes Tal zwischen zwei grünen Berglehnen, wo es so still war, dass man die Luft in entfernten Baumwipfeln konnte säuseln hören. Aufsmal erkannte ich das Tal als zu der Heimatgegend gehörig, obgleich es so schlicht von Gestaltung war, dass es nirgends eine eigentümliche Form darbot, und kein menschliches Gebäude zeigte sich dem Auge. Ungefähr in der Mitte des Weges, der das Tälchen durchschnitt, warf ich mich an eine kleine begrünte Erdwelle …' “ soweit Gottfried Kellers Stimme.
Wie bekannt ist, hatte Gottfried Keller zwei Fassungen zu seinem 'Grünen Heinrich' geschrieben, und Schumacher kommentiert Kellers Text weiter: „Genau bis hierher sind im wesentlichen die beiden Fassungen des 'Grünen Heinrich' identisch. In der ersten Fassung stirbt er und Keller schreibt: 'und es ist auf seinem Grabe ein recht frisches und grünes Gras gewachsen'. In der zweiten Fassung möchte Heinrich – die Parallele ist deutlich – unter der 'begrünten Erdwelle', unter der 'sanften Erdbrust' liegen.' “ (bis hier Hans Schumacher in seinem Kommentar zum 'Grünen Heinrich').
So gesehen ist das 'Abendlied an die Natur' ein tragendes, tief ins Lebendige von Entstehen und Vergehen weisendes Motiv, keine Naturidylle. Und als ein Werk zu verstehen, das Ermano Maggini, – als hätte es so sein müssen, zwei Jahre vor seinem (für ihn wie für alle) unerwarteten und allzu frühen Hinschied, komponiert hatte. Worte können seine Musik in jenem Jahr kaum besser begleiten, als es diese Strophen Gottfried Kellers tun:
Abendlied an die Natur: / Hüll' ein mich in die grünen Decken, / Mit deinem Säuseln sing mich ein,/ Bei guter Zeit magst du mich wecken / Mit deines Tages jungem Schein!/ Ich hab mich müd in dir ergangen, / Mein Aug' ist matt von deiner Pracht. / Nun ist mein einziges Verlangen, / Im Traum zu ruhn, in deiner Nacht. (…) Und sollte mich das Ende finden, / Schnell decke mich mit Rasen zu; / O selig Sterben und Verschwinden / In deiner stillen Herbergsruh!'

Text zur Werkgeschichte und Redaktion:
Evi Kliemand (2018/2019)
Fondazione Ermano Maggini Intragna

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ABENDLIED AN DIE NATUR

Hüll' ein mich in die grünen Decken,
Mit deinem Säuseln sing mich ein,
Bei guter Zeit magst du mich wecken
Mit deines Tages jungem Schein!
Ich hab mich müd in dir ergangen,
Mein Aug' ist matt von deiner Pracht.
Nun ist mein einziges Verlangen,
Im Traum zu ruhn, in deiner Nacht.

Des Kinderauges freudig Leuchten
Schon fingest du mit Blumen ein,
Und wollte junger Gram es feuchten,
Du scheuchtest ihn mit buntem Schein.
Ob wildes Hassen, masslos Lieben
Mich zeither auch gefangen nahm:
Doch immer bin ich Kind geblieben,
Wenn ich zu dir ins Freie kam!

Geliebte, die mit ew'ger Treue
Und ew'ger Jugend mich erquickt,
Du einz'ge Lust, die ohne Reue
Und ohne Nachweh mich entzückt –
Sollt' ich dir jemals untreu werden,
Dich kalt vergessen, ohne Dank,
Dann ist mein Fall genaht auf Erden,
Mein Herz verdorben oder krank!

O steh' mir immerdar im Rücken,
Lieg' ich im Feld mit meiner Zeit!
Mit deinen warmen Mutterblicken
Ruh' auf mir auch im schärfsten Streit!
Und sollte mich das Ende finden,
Schnell decke mich mit Rasen zu;
O selig Sterben und Verschwinden
In deiner stillen Herbergsruh!

Gottfried Keller

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