HIOB - FÜR BLÄSERQUINTETT

Quintett für Flöte in C und G, Oboe, B-Klarinette, Englischhorn und Fagott
Lavadina 1977
Dauer ca. 12'/13'

Zur Werkgeschichte

Der 24. Februar 1978 war ein wichtiger Tag, an diesem Tag erfolgte die Erstaufführung des Werks HIOB für Bläserquintett, das der Komponist ein Jahr zuvor vollendet hatte. Die Uraufführung fand in Zürich statt, in der Kirche Sankt Peter; in unmittelbarer Nähe der Wohn- und Wirkungsstätte des Komponisten. Den Impuls zu diesem Werk gab die Begegnung mit den Interpreten des Pro Arte Quintett Zürich, das 1972 von hoch qualifizierten jungen Mitgliedern des Tonhalleorchesters gegründet worden war. 1978 setzte sich das Quintett aus folgenden Interpeten zusammen: Werner Zumsteg, Flöte, F. Hunter, Oboe, P. Hunter, Klarinette, N. Frisch, Horn und E. Zimmermann, Fagott. Werner Zumsteg gehört zu jenen, die Magginis Werke für Flöte solo auch späterhin an zahlreichen Konzerten zur Aufführung brachten. Der Atem als ein massgebender Teil der kreatürlichen organischen Stimme und des Klangs hatte Ermano Maggini früh beschäftigt. Vielleicht ist es nicht von Ungefähr, dass 1976 die kleine kostbare Komposition 'Atem' für Piano solo dem Bläserquintett HIOB vorausging. Das Motiv 'HIOB' indes sollte am Ende des Komponisten-Lebens eine weitere Gewichtung erhalten mit einem unvollendet gebliebenen letzten Werk, das von diesem selben Motiv auf erschütternde Weise bestimmt sein würde.

Schon 1975 entstand in der Vertonung von sieben Gedichten der grossen deutsch-jüdischen Dichterin Nelly Sachs der Zyklus ''Teile dich Nacht' für Bariton solo, eine Komposition, die das Augenmerk der Klage und Anklage Hiobs mit einiger Dringlichkeit auf das 20. Jahrhundert zu lenken vermag. Im Jahr 1977, da Ermano Maggini das Bläserquintett komponierte, schrieb er auch sein erstes Orchesterwerk Torso II. 1978, nur ein Jahr später wagte er sich an sein zweites Quintett, Canto IV, Quintett für Violine, Violoncello, Klarinette, Flöte und Klavier, uraufgeführt 1979 vom Ensemble Neue Horizonte, Bern, das dieses bei ihm in Auftrag gegeben hatte. Violine, Klarinette und Klavier werden für Torso VIII, sein letztes Trio (1990) bestimmend sein (vgl. Werkausgabe in dieser Edition).
Das Quintett HIOB wurde in den 80er Jahren von Radio DRS Zürich in seiner ursprünglichen Formation übertragen, es gibt eine Bandaufnahme (heute Zentralbibliothek Zürich). Im Jahr 2000, am 23. Juli, wurde das Werk vom Afflatus Quintet, Prag, anlässlich eines Gedenkkonzerts in der Chiesa Parrocchiale von Intragna (Geburtsort des Komponisten) nochmals eindrücklich zur Aufführung gebracht; Das Konzert, ausschliesslich mit Werken von Ermano Maggini, stand unter dem Patronat von Ticino Musica und wurde als Life-Aufnahme auf CD aufgezeichnet. Im Programmzettel heisst es: 'diesem von seinen Klangfarben und Klangräumen her so dicht und homogen gebauten Werk, das die Orchesterwerke und Quartette deutlich vorwegnimmt, ist in diesem Konzert wieder zu begegnen. Hiob ist ein Motiv, das den Komponisten Ermano Maggini zeitlebens beschäftigt hat: Zum einen das menschliche Scheitern, Hiobs Hadern mit Gott und zum anderen das Lob der Weisheit und der unergründlichen Schöpfung. Das Werk ist in fünf Sätzen komponiert und haucht sich aus in einem Lento misterioso – morendo al niente (ins Nichts erlöschend).' (…) In der Biographie zu Werk und Leben des Komponisten (Verlag Müller & Schade Bern 2015) schreibt dieselbe Autorin: 'Wenn das Quintett zu Hiob I von 1977 das Tor zu den Orchesterwerken eröffnet hat, so schliesst sich das Tor auch wieder mit diesem Motiv. Hiob findet ein zweites Mal Eingang in das Schaffen des Komponisten, es beschäftigt ihn, treibt ihn um, offene Fragen. Das Hadern, die Revolte, das Erdulden …' (S.21/ 22 / S. 98)

Anlässlich einer Aufführung gibt es eine jener seltenen Programmnotizen aus der Hand des Komponisten: 'Mein musikalisches Schaffen basiert auf modalen Tonreihen mit begrenzter Transpositions-Möglichkeit. Je beschränkter diese Transpositions-Möglichkeit ist, desto interessanter ist für mich der Weg. Aus diesen Modi entstehen die Spannungsfelder der gesteigerten Intervalle, die ein elementarer Bestandteil meiner Musik sind. Die Spannungsgesetze innerhalb der harmonisch-gedachten Obertonreihe führen mich zu meiner eigenen Klangfarbe, von der letztlich meine musikalische Sprache bestimmt wird.' Ermano Maggini.

Hiob kann nicht als ein Erzählstrom, nicht als eine epische Abfolge begriffen werden; es ist diese Gleichsetzung von Anfang und Ende, es ist eine Gleichzeitigkeit in der Klanggestalt, was die organisch pulsierende Transparenz hervorruft, und es ist ein Aufleuchten und Verdunkeln, was den Klangkörper bewegt, der Klang wird auf diese Weise zum Korpus. Erst in dieser raumimmanenten Abstraktion wird man dem Geheimnis näher kommen, aber auch dem selbstkritischen Zwiespalt des Komponisten begegnen, der ein Gegensätzliches in diese Klangschöpfung miteinbezieht. Das Diatonische assimiliert und wandlungsbereit – ein Unterbau, der da und dort in Frage gestellt abrückt, es ist ebenso das Ringen und Hadern zwischen gefestigter Materie und ihrer Durchdringbarkeit bis hin zum fasernden Rand ihrer Auflösung, es ist nicht die bare Revolution, es ist die Synthese dieses Ringens, in diesem Sinne ist es Hiob.

Text und Redaktion: Evi Kliemand (2017)
Fondazione Ermano Maggini Intragna

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